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Albert Camus
DIE GERECHTEN

Schauspiel


Besetzung:
Regie/Ausstattung:
Dramaturgie:
Regieassistenz:
Ekkehard Dennewitz
Michael Pietsch
Agnieszka Habraschka
DIE GERECHTEN

Dora Dulebow - Sophia Heyrichs | Iwan Kaljajew - Johannes Grabowski | Stepan Fjodorow - Max Radestock | Boris Annenkow - Philipp Reinhardt



Stück:

Russland im Jahr 1905: In einer Moskauer Wohnung planen die Sozialrevolutionäre Annenkov, Stepan, Dora, Voinov und Kaljajev ein Attentat auf den Großfürsten Sergej. Kaljajev soll die Bombe werfen.

Ein erster Versuch wird jedoch abgebrochen, da der Fürst von seinen Neffen begleitet wird. Die Gruppe ist sich nach langen Diskussionen einig, dass der Tod von Unbeteiligten nicht zu rechtfertigen ist.

Umgehend wird ein zweiter Versuch gestartet, der schließlich mit der Ermordung des Großfürsten endet. Kaljajev wird festgenommen und zum Tode verurteilt. In seiner Verteidigungsrede bleibt er dabei: Die Tötung des Großfürsten ist ein Akt der Gerechtigkeit. Durch Verrat an den Gefährten könnte der Revolutionär sein eigenes Leben retten, doch er weigert sich und wird hingerichtet. Die Gruppe bleibt unentdeckt, und Dora stellt sich zur Verfügung, die nächste Bombe zu werfen...



Der Philosoph, Journalist, Dramatiker und Essayist Albert Camus (1913-1960) – neben Jean-Paul Sartre der bedeutendste Vertreter der existentialistischen Philosophie – beschreibt in seinen Werken das Wissen um das Absurde als die grundlegende Erkenntnis in einer nicht-sinnhaften und nicht-sinnfähigen Welt.

In seinen philosophischen Hauptschriften „Der Mythos von Sisyphos“ und „Der Mensch in der Revolte“ wie auch in seinen Romanen und Bühnendramen lotet er die Möglichkeiten des Individuums aus, trotz der Erkenntnis einer sinnleeren Welt dem eigenen Tun einen Sinn zu geben und lebensfähig zu bleiben.

In „Die Gerechten“ (Uraufführung 1949 in Paris) diskutiert Camus anhand der vorrevolutionären russischen Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben Sinnfragen auch die moralische Berechtigung eines Tyrannenmordes.


Pressestimmen:

Oberhessische Presse

Wenn Dora auf Dynamit schläft

„Die Gerechten“ von Albert Camus zum 50. Todestag im TASCH

Intendant Ekkehard Dennewitz inszenierte mit Laien ein fesselndes Theaterstück, das auch heute noch betroffen machen kann. Es hatte am Sonnabend Premiere. von Dr. Justus Noll

Marburg. Camus fand seinen Stoff in den Memoiren des russischen Sozialterroristen Boris Savinkow, der im Jahr 1905 zu einer Gruppe von Bombenwerfern gehörte. Sie spielte zwar nur eine kleine Rolle in der blutigen Geschichte der russischen Revolution, aber dieser revolutionäre Geheimzirkel der Zaren-Zeit handelte nach hohen moralischen Maßstäben, bevor man sich mit Lenin angewöhnte, die Revolution nur nach ihrem Erfolg zu beurteilen. Die sehr jungen Menschen (Mitte 20, Studenten) wurden später als „Romantiker“ belächelt. Sie führten ihr tödliches Vorhaben unter größten moralischen Skrupeln aus – aber sie führten es aus.

Camus hat hinreichend klar gemacht, dass er sie liebt. „Ich habe sogar dem Helden der ‚Gerechten‘, Janek Kaljajew, seinen richtigen Namen gelassen. Das habe ich nicht aus Denkfaulheit getan, sondern aus Respekt und Bewunderung für Männer und Frauen, die bei einer der grausamsten Aufgaben nicht ihr Herz beschwichtigen konnten,“ erklärte er 1949 zur Uraufführung. Die Bearbeitung der klassischen fünf Akte durch Regisseur Ekkehard Dennewitz beschränkte sich auf eine Szenenfolge, die hauptsächlich die menschlichen Spannungen zwischen den „zartfühlenden Mördern“ und die Liebesgefühle von Dora und Kaljajew darstellt. Roger Quilliot, Herausgeber der gesammelten Werke in der Pléiade-Edition, entdeckte im dritten Akt die schönste Liebesszene Camus‘. Dagegen entfielen im TASCH leider wichtige Schlüsselszenen: Kaljajew wird im Gefängnis vom Polizeichef und vor allem von der Großherzogin besucht, der Frau des gerade Ermordeten, dessen Kopf beim Attentat verloren ging. Das Drama wurde zu einem Vier-Personen-Stück.

Eine weitere Besonderheit ist die Wahl eines Laien-Spielensembles aus Schülern und Studenten, wodurch vor allem die Jugendlichkeit der „Täter“ unterstrichen wird. Abiturientin Sophia Heyrich spielte eine rührende und warmherzig liebende Bombenbauerin Dora, von der Savinkow berichtete, dass sie auf Bomben schlafe. Der kalten „technischen“ Seite Doras räumte sie folgerichtig nur wenig Platz ein. Eine sehr begabte Charakterstudie des Leiters der aufgeregten Revolutionäre, Boris Annenkow, lieferte Abiturient Philipp Reinhardt, der durch viele Momente kompetenter Ruhe überzeugte. Student Max Radestock löste virtuos die Anforderungen der sehr diffizilen Rolle eines durch Folter verhärteten, aber seelisch aufweichenden jungen Menschen, der wie alle anderen im Begriff ist, seine Jugend zu verlieren. Die Hauptfigur Janek fand in Schüler Johannes Grabowski eine besonders sympathische und ausdrucksstarke Verkörperung.

Sawinkow berichtet davon, dass bei seinen Treffen mit den Revolutionären einmal am Flussufer ein Walzer spielte. Ein anderes Mal erklang auf dem Boulevard eine Melodie aus „Tosca“. Die Bühnenmusik von Olaf Roth, ausgeführt von Christian Keller mit Einspielungen zum Solo-Cello, erfüllte diese melancholische Funktion dunkler, einfühlsam ausgeführter Stimmungsmusik.

Man kann das Haupt-Thema des Stückes auch modern formulieren: Es handelt von den „Kollateral-Schäden“ eines Kampfes, denn das erste Attentat scheitert im Gegensatz zum zweiten, weil Kaljajew keine Kinder töten kann. Dennewitz baute in seine Inszenierung überraschend ein direktes Zitat von Joschka Fischer aus dessen „roter“ Zeit ein.

Es war ein praller, wenn auch kurzer Theater-Abend (eine Stunde ohne Pause), der vom Publikum mit zahlreichen Vorhängen belohnt wurde.




Marburger Neue Zeitung 09.02.2010

Junge Laiendarsteller schlüpfen mit Haut und Haar in ihre Rollen

Hessisches Landestheater Marburg spielt „Die Gerechten“

Darf man um der Gerechtigkeit Willen töten? Und ist im Kampf um Freiheit und Recht alles erlaubt? Diesen Fragen geht der Philosoph, Dramatiker, Journalist und Essayist Albert Camus in „Die Gerechten“ nach. Das Hessische Landestheater Marburg (HLTH) hat das Stück aus dem Jahr 1949 nun auf die Bühne gebracht – mit jungen Amateurdarstellern.

Im Theater Am Schwanhof feierte „Die Gerechten“ am Samstag Premiere. Ein rechteckiger roter Boden bildet die Bühne, auf dem lediglich drei schwarze Stühle und ein Tisch mit einem chemischen Experiment stehen. Eingekesselt durch das Publikum spielen die vier Akteure wie auf dem Präsentierteller. Was schon für professionelle Schauspieler eine Herausforderung bedeutet, meisterten Abiturientin Sophia Heyrichs (Dora), Abiturient Philipp Reinhardt (Borja), Student Max Radestock (Stepan) und Schüler Johannes Grabowski (Janek) mit Bravour.

Camus’ Werk spielt im Russland des Jahres 1905, in dem eine Gruppe von Sozialrevolutionären ein Bomben-Attentat auf den Großfürsten Sergej plant. Stepan kehrt aus dem Exil zu seiner Organisation (Dora und Borja) zurück. Obwohl Stepan die Bombe werfen will, ist Janek dazu auserwählt. Zu dem Grundkonflikt zwischen Gewaltherrschaft und Revolution sowie der Frage nach der moralischen Berechtigung eines politischen Mordes kommt so auch noch die Konkurrenz zwischen den beiden grundverschiedenen Männern.

Denn während Stepan den kaltherzigen Revolutionär verkörpert, dem jedes Mittel recht ist, um sein Ziel zu erreichen, ist Janeks Rolle vielschichtiger. Er kämpft für das Recht und für die Liebe, die ihm selber aber verwehrt bleibt: „Wir sind Gerechte, das ist unser Los, die Liebe ist unmöglich.“

In der Mitte des einstündigen Stücks treten die Darsteller aus ihren Rollen heraus und rezitieren abwechselnd eine Rede über revolutionäre Bewegungen in Deutschland und darüber, wie weit ein Revolutionär für seine Ziele gehen darf. Es ist eine Rede Joseph Fischers, einst Mitlied in der Gruppierung Revolutionärer Kampf, aus dem Jahr 1976 – der Hauptzeit der RAF. Auch wenn der Text zunächst etwas verwirrend ist, da plötzlich von Deutschland die Rede ist und der Autor erst am Schluss genannt wird, so ist er ein gelungener Querverweis darauf, dass die Diskussion um die Grenzen des Gerechtigkeitskampfes über hundert Jahre nach der Uraufführung des Stücks und auch heute noch hochaktuell ist.

Den zweiten Teil von Camus’ „Die Gerechten“ klammert das HLTH aus und deutet ihn lediglich durch Gesten und Aktionen an. Das tut dem Gesamtcharakter des Stücks keinen Abbruch. Unter der Regie von Ekkehard Dennewitz (sein letztes Regiewerk als Intendant des HLTH) und der Dramaturgie von Michael Pietsch schlüpfen die vier jungen Darsteller mit Haut und Haar in ihre Rollen.

Besonders die komplexe Rolle des Idealisten Janek und die zwischen Gerechtigkeitssinn und der Liebe zu Janek hin- und hergerissene Dora verkörpern Johannes Grabowski und Sophia Heyrichs mit Leidenschaft. Ein Werk, das mitreißt. Und eine Inszenierung, die mit ihrer zugleich kühlen wie emotionalen Spielweise das Premierenpublikum fesselte.




marburg news

Gewissen ist Luxus

Camus brachte revolutionäre Gerechtigkeit zur Sprache

07.02.2010 - fjh

"Gewissen ist ein Luxus", sagt der Revolutionär Stepan Fjodorow. Seine Auseinandersetzung mit Grenzen und Gründen revolutionärer Gewalt steht im Mittelpunkt des Bühnenstücks "Die Gerechten" von Albert Camus. In einer eindringlichen Inszenierung des Intendanten Ekkehard Dennewitz feierte das Drama am Samstag (6. Februar) Premiere im Theater am Schwanhof (TaSch 2). Hauptdarsteller waren dabei vier Jugendliche. Zum Erstaunen vieler Premierengäste haben sie die Rollen von vier russischen Revolutionären aber so überzeugend verkörpert, dass auch professionelle Schauspieler es kaum besser hätten machen können. Der Stoff des französischen Literatur-Nobelpreisträgers greift eine wahre Begebenheit aus dem vor-revolutionären Russland des Jahres 1908 auf. Mitglieder der kommunistischen Partei planen ein Attentat auf einen Großfürsten, den sie für das Elend ihrer Landsleute verantwortlich machen. Iwan Kaljajew soll die Bombe in die Kutsche des verhassten Großfürsten werfen. Dora Dulebow hat das todbringende Rohr hergestellt. Sie mag den jungen Revolutionär, den die Gruppe wegen seines originellen Lebensstils als "Poeten" bezeichnet. Dem aus dem Exil zurückgekehrten Stepan ist Iwan hingegen suspekt. Er misstraut seinem revolutionären Eifer, den er für die Laune eines gelangweilten Bourgeois hält. Als die Kutsche mit dem Großfürsten vorüberfährt, zögert Iwan. Er wirft die Bombe nicht, weil in der Kutsche neben dem verhassten Großfürsten auch dessen Gemahlin und seine kleinen Neffen sitzen. Die Revolutionäre dürften keine Kinder töten, fordert Kaljajew. Das Leben dieser Kinder müsse hinter die revolutionären Interessen zurücktreten, entgegnet Stepan. Das Leben Tausender verelendeter Kinder sei wichtiger als das dieser dressierten Puppen. Ein Streit entzündet sich zwischen den beiden jungen Männern. Iwan begründet seinen Einsatz für die revolutionären Ziele mit dem Wunsch nach einem besseren Leben. Stepan hingegen begründet es aus seinem Hass gegen das bestehende unmenschliche System. Er wäre sogar bereit, die Revolution gegen eine Mehrheit in der Bevölkerung durchzusetzen, erklärt der Revolutionär. Das Ziel heilige jedes Mittel. Iwan hingegen sieht das gute Leben gerade auch der unterdrückten Menschen als das eigentliche Ziel der Revolution an. Erliebt das Leben und engagiert sich gerade deswegen in der Kommunistischen Partei. Die Rolle des Iwan Kaljajew hat Johannes Grabowski überzeugend ausgefüllt. Neben dem sympathischen Schüler mit den langen Haaren und dem weichen Gesichtsausdruck brillierte auch die Abiturientin Sophia Heyrichs als Dora Dulebow. Gekonnt wechselte sie zwischen zur Schau gestellter Härte und dem Wunsch nach menschlicher Nähe und romantischer Liebe. Den hasserfüllten Stepan Fjodorow brachte der Student Max Radestock ebenfalls gekonnt auf die Bühne. Manchmal wirkte sein Spiel aber schon so professionell, dass es ein winziges Stückchen hinter die überzeugende Darstellung der beiden anderen zurückfiel. Als Boris Annenkow bewies auch der Abiturient Philipp Reinhardt schauspielerisches Talent. Seine Rolle war indes wohl die undankbarste. Alle vier Darsteller haben ihre Rollen so überzeugend umgesetzt, dass der begeisterte Applaus am Ende des Stücks absolut berechtigt war. Auch wenn die erregte Deklamation in einigen Szenen doch besser gewirkt hätte, wenn sie ein wenig leiser vorgetragen worden wäre, war die Inszenierung geradezu grandios. Mit geringen Mitteln schuf der Intendant eine Atmosphäre, die sich voll auf das Geschehen und die Dialoge konzentrierte. Sie agierten rund um einen Tisch mit vier Stühlen, der sich mitten zwischen den Zuschauerrängen befand. Dadurch war das Publikum immer hautnah am Geschehen. Einen besonderen Leckerbissen hatte Dennewitz nach dem zweiten Akt eingestreut. In wechselndem Vortrag verlasen die vier Darsteller eine Rede zur politischen Auseinandersetzung mit der "Stadtguerilla-" der Roten Armee-Fraktion (RAF) und ihren Gewalttaten. Auch wenn der Redner jene "linken" Lehrer oder Professoren anprangerte, die sich sofort auf ihre Pfründe zurückzögen, wenn es Ernst werde, geißelte er auch die RAF, die sich von den Menschen und ihrer Wirklichkeit entfernt habe. Am Ende nannten die Darsteller dann die Quelle: "Rede des Genossen Josef Fischer, Gruppe Revolutionärer Kampf, Frankfurt 1976". Mit dem zweiten Attentats-Versuch auf den Großfürsten endete die Inszenierung. Kenner des Originals von Camus rätselten anschließend noch darüber, ob da nicht Wichtiges fehle. Für alle anderen war es aber ohne Einschränkungen ein gelungener Abend, der auf eindrucksvolle Weise zu Nachdenklichkeit, Engagement und Mitmenschlichkeit aufrief.

Franz-Josef Hanke - 07.02.2010

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